Aussage versus Legende.

Einer der schlimmsten Begriffe im Bereich des Redens über Photographie ist derjenige der „Aussage“ eines photographischen Bildes (énonciation - Heraussage -, énoncé - Herausgesagtes -, Prozess und Resultat, beides besagt „Aussage“). Denn dieser Begriff benennt das Verlassen des Bildes auf einen Satz hin. Wer aber das photographische Bild verlässt, hat dort nichts zu sehen bekommen.

Denn das Bild, das wirklich etwas zu sehen gibt, lässt den Betrachter nicht mehr los. Das gilt auch für das photographische Bild. Wie denn? Indem es etwas zu sehen gibt, das an ihm selbst zeigt, dass es auf keinen Fall je zu Ende gesehen sein wird. Die Aussagenden aber machen sich anheischig, das Bild zu Ende gesehen zu haben, so zwar, dass sie dieses Gesehene aus dem Bild herausnehmen und in einen Satz übertragen können. Das Bild erschöpft sich im Satz und wird damit hinfällig. Solche Bilder gibt es tatsächlich, nur sind das keine Bilder, sondern Illustrationen von Sätzen - üblich etwa in der Werbebranche. 

Das Bild ist „wesentlich“ Bild, wenn es jegliche Aussage in seiner Fülle überschiesst oder an seinem inhärenten Mangel zersetzt: Da zeigt es an ihm selbst Schwellen der Sichtbarkeit (des „seuils de la visibilité“), ist das Sichtbare an ihm immer bezogen auf Unsichtbares, die sichtbare Hälfte eines Gesichts im Profil etwa bezogen auf dessen unsichtbare Hälfte, dann auf das „Innere“ dieses „Äusseren“ usw. Das sind Bedeutungsbeziehungen unterschiedlichen Grades der Verwirklichung, zum Teil voll ausgebildet, zum Teil in statu nascendi. Gäbe es in einem Bild nur voll ausgebildete Bedeutungsbeziehungen, die sich zudem in nur eine Richtung voll auslegen liessen, könnte man in der Tat geneigt sein, diese in einer Aussage zu versammeln zu suchen. Nur schon die Vielschichtigkeit vollausgebildeter Bedeutungsbeziehungen in einem facettenreichen Bild jedoch, vollends aber die Konkurrenz nur halb oder schwach ausgebildeter Bedeutungsbeziehungen, sie vereiteln jeden Versuch der Aussage. Denn das mehr oder weniger Unsichtbare, auf dessen Grund das Sichtbare erst stoffliche Dichte und Leuchtkraft gewinnt, lässt sich nicht aussagen. Wer diese im dunklen Grund schimmernden Diamanten ans Licht zu heben sucht, hat schliesslich nur graue Steine in Händen.

Anders die Legende. Eine solche steht fast unter jedem Bild Paul Klees, unter Bildern also, die, darüber herrscht Konsens, auf keinen Fall verlassen werden können. Die Legende sagt nicht aus, sie weist hin, elle „pointe“ vers, als Perspektivengebung. Die kann direkt sein, sie kann aber auch ironisch sein (wie oft, wie mir scheint, bei Klee), scherzhaft, sie ist ein Lektüre-Hinweis, ihr Pfeil geht Richtung Einstieg, also in die Gegenrichtung der Aussage, die den Ausstieg meint. Während also die Aussage das Verlassen des Bildes bezweckt, will die Legende hinführen zum Sich-Einlassen auf das Bild. 

Ich habe hier einen Maler angeführt. Das scheint mir legitim, und das höchste Ziel des Photographen, scheint mir, müsste sein, so zu photographieren wie Paul Klee malt. Schon klar, dass das nicht geht. Es geht dennoch, aber anders.