Der Kriegsberichterstatter (Fortsetzung)

Aus einer Sitzung der Photographischen Gesellschaft Bern. 

Diesmal berichtete der Kriegsberichterstatter nicht von der Front, sondern von anderen Problemzonen - in Bangladesch. Von der überaus umweltschädlichen und für die Arbeitenden lebensgefährlichen Verschrottung alter Lastschiffe und von der Welt grösstem Flüchtlingslager an der Grenze zu Myanmar. Sein Hauptinteresse freilich gilt den Hot Spots. So war er wieder in Mosul gewesen, um an Säuberungsaktionen der irakischen Polizei gegen verbliebene IS-Kämpfer teilzunehmen. Es kam zu schweren Gefechten. Das, sagte er sinngemäss, sind die Auseinandersetzungen, bei denen ich als Photoreporter dabei sein will. Er hätte auch sagen können: Da gehöre ich hin. Ich?

Ich denke, es geht hier um die Tilgung des Ich und dessen eventuelle Auferstehung. Das „eventuell“ ist mir hier wichtig, denn ich bin mir darüber nicht so sicher, über die Tilgung hingegen sehr wohl. Was ist schon das Ich? Eine kulturelle Errungenschaft unter anderen, in anderen Kulturen viel weniger ausgeprägt als hierzulande. Wer sich dorthin begibt, merkt bald: Dieses Ich stört nur. Es ist Teil eines Hirngespinsts, der sogenannten kulturellen Brille, das uns am Sehen hindert. Mit der Tilgung des Ichs meine ich nicht primär so etwas wie die Todessehnsucht des Kriegsberichterstatters, sondern den unbändigen Wunsch des Photographen nach dem unverstellten Sehen, von dem er in seinen Bildern Zeugnis ablegen will. Bei Robert Walser etwa bin ich der Auffassung, dass der deshalb so klein sein wollte, um alles Verfälschende zwischen sich und der erscheinenden Welt möglichst verschwinden zu lassen. Bei Alex Kühni sehe ich den Furor des In-die-Gefahr-Laufens als Dimension des konsequenten Strebens nach der alles aufzeigenden Bilderreihe, welche die Selbstbeseitigung der Subjektivität des Zeugen erheischt. Da war doch ganz schön dieser Umkehrbeweis: Wo keine Gefahr war, da wurde der Photograph auf sich zurückgeworfen in seiner Auffälligkeit für die anderen im sozusagen touristenfreien Bangladesch. Sein Ärger darüber ging meines Erachtens über die blosse Szene hinaus: Gerade diese Auffälligkeit erinnerte schmerzlich an jene Westler-Identität, die weg muss wegen des Anspruchs seiner Photographie auf Unverstelltheit.   

Unverstellt sehen lassen kann aber nur ein solches Zeigen, das nicht aus subjektiven Gründen stattfindet, etwa von einer Ästhetik und Ökonomie der Westler-Identität her, sondern weil das Gezeigte sein Gezeigt-Werden von sich her erheischt, über alle Traditionen hinweg. Einen solchen Imperativ kann nur ein Skandalon von Weltrang bieten. Betrachten wir die Inhalte, denen der Kriegsberichterstatter nachgeht, sehen wir uns in dieser Feststellung bestätigt: Es sind die Welt-Hot-Spots, die ihn magisch anziehen, die Metaphern der Weltkonflikte, die Allegorien des Weltuntergangs, sie sind Gegenstand seiner Erzählungen. 

Dass er jetzt nicht mehr weiterhin von hier aus vermeintlich gesicherter Warte nach dort zu den Hot Spots reist, sondern gleich dort wohnen will in Zukunft, ergibt sich wiederum schlüssig aus unserem Raisonnement. Quod erat demonstrandum.

Siehe auch den ersten Beitrag zum Kriegsberichterstatter hier.