Der Tagebuchschreiber (Fortsetzung).

Wer frühere Alltagsnotizen zur Hand nimmt, kann auch erschrecken. Wegen der Enge der Sicht, die sich da gelegentlich offenbart, über weite Strecken hin, Monate. Nachträglich stelle ich fest: In meinem Berufsleben als Kommunikationsakteur Deutschschweiz-Westschweiz bin ich oft über längere Zeit vom intriganten Kontext meiner Aktivitäten absorbiert worden, als Mitspieler und Beobachter. Des letzteren dabei mitgeschriebene, damals wohl als Errungenschaft verstandene Metaebene erscheint heute, mehr als 10 Jahre später, in der Lebenssituation der Freistellung altershalber, nur als eine weitere Tunnelwand. Erzählerisch ist die oft nur hingeworfene, tägliche Schreibe meist ungenügend, weil zu voraussetzungsvoll. Meist fehlt die Aufarbeitung der Hintergründe und Umstände der knapp benannten Bewegungen der Figuren auf dem Schachbrett der damaligen Mandate - gewiss, solches geschah anderswo, im Rahmen der Geschäftstätigkeit, und gewiss wird auch in den Carnets gelegentlich eine ausführliche Darlegung der bestimmenden Komponenten einer jener Situationen geboten, die der Lösung harrten - also jenes Resultates, für das ich schliesslich bezahlt wurde. Doch die heute noch interessierenden Analysen sind selten genug, bezüglich des Berufs- wie des Privatlebens. Überhaupt, und das ist das besonders Bedenkliche, entfaltet sich die Gedankenwelt fast ausschliesslich an diesen Lebensbereichen. Dabei war ich gerade damals, um 2006 herum, zuhanden eines Kunden mit der Redaktion von Think Pieces zu Kunst und Design befasst. Nichts davon in meinen persönlichen Notizen. Also, schliesse ich heute, war mein Bezug zu dieser lichteren Sphäre wohl ein technischer. Vordringlich aber waren die doch oft in Konvulsionen ausartenden Bedürfnisse und Konflikte des in seinem Lebenstunnel gefangenen sprechenden Tiers.

Wenn ich also heute manches in meinen Carnets als „Spiegelung meiner Konvulsionen“ bezeichnen würde, so ist das nicht abschätzig gemeint. Es ist eher eine Einladung zur Bescheidenheit. Die ist deshalb nötig, weil das Schreiben auch im Falle der täglichen Notiz kraft der blossen Spiegelung eine Meta-Dimension mit sich bringt, deren Entfernung zum Geschehen vom Schreibenden gerne überschätzt wird. Während also der Schreibende in einem Kraftakt sich von seinem Tun und Lassen zu lösen wähnt, in dem er die ihm gerade auffälligen Aspekte desselben zu formulieren sucht, wird er als sein eigener Leser dann mehr als zehn Jahre später gewahr, wie sehr er noch in seinen Verstrickungen gefangen war.