Zur Sinnproduktion, erneut.

Klassische Themen Philosophierender haben mich schon immer weniger interessiert als jenes der Sinnproduktion, das generell eher marginal behandelt wird, bei mir aber in theoretischer wie in praktischer Hinsicht im Zentrum steht. 

Lebensweltlich erwuchs mir das Thema aus der Ennui-Erfahrung, die ich bereits als Jugendlicher machte und die mich zum Philosophieren brachte, vor allem aber zur Literatur, verstanden als originäre Sinnproduktion von Autoren, über einem Abgrund von nichts, etwas pathetisch ausgedrückt. Über diesem Abgrund bildet, verdichtet und verdünnt sich in meinem Verständnis die jeweilige Tradition, in der diese Autoren gefangen sind, so eigenständig sie auch schreiben mögen - und sie sind die eigenständigsten Sprachproduzenten überhaupt, so zwar, dass sich an ihnen die Gefangenschaft in der Sprache, diesem vorzüglichen Vehikel der Tradition, erst ermessen lässt.

Man sieht, ich schreibe hier bewusst nicht „schön“ - das kann ich zwar auch, aber das „Schönschreiben“ ist eine Sache von Werbetextern geworden, mit denen ich nun wirklich nichts zu tun haben will.

In meiner Wahrnehmung haben an der Sinnproduktion alle sprachfähigen Lebewesen teil, in ihrer originären Form jedoch ist sie eine Sache der Wenigen, und auch nicht immer derjenigen, die sich ihrer teilhaftig wähnen. Es gibt ein starkes Kriterium für genuine Sinnproduktion: die Dauerhaftigkeit von Texten über Jahrhunderte hinweg, deren durchgängiges Wirken im Gewebe der Tradition, wodurch sie zu Werken werden. Dies lässt auf das Vorhandensein einer Sinnquelle schliessen, denn anders ist solche Robustheit nicht zu erklären im Wechsel der mentalen Grosswetterlagen mit ihren Moden, Meinungen und Befindlichkeiten. Erfolg zu Lebzeiten ist da wenig aussagekräftig, weshalb Autoren, die darum wissen, lebensweltlich allenfalls sekundären Ehrgeiz entwickeln, nicht aber in der Sache selbst, also nicht als Autoren, sondern als Teilnehmende von Gesellschaften, in denen sie an Positionen interessiert sein mögen. Autor zu sein ist keine gesellschaftliche Position, sondern eher, wenn man denn will, ein „Schicksal“. Die vermeintliche gesellschaftliche Position „Autor“ ist ein Abziehbildchen - wohl mit ein Grund, weshalb jemand wie Reinhard Jirgl („die Stille“) nur noch für die Schublade schreibt. Gerade bei Jirgl übrigens zeigt sich schön, wie die Sinnproduktion sich ihrer selbst bemächtigt in Konfrontation mit der ständigen Sinnzertrümmerung, in der sie stattfindet und deren Höhepunkt in der „Stille“ um die Seite 360 erreicht wird, bei der Ausmalung der Apokalypse im Zuge des 21. Jahrhunderts. Genuine Sinnproduktion und Zerstörungslust sind schrecklich nahe beieinander, wie dies, nebenbei bemerkt, auch der während des Zweiten Weltkriegs einflussreiche französische Denker Georges Bataille ("l’économie générale") gesehen hat. 

So kann einer die wieder aufkommende Kriegslust in unseren Breitengraden auch verstehen als Reaktion auf eine Übersättigung breiter Kreise an hergebrachtem Sinn nach aussergewöhnlich langer Friedenszeit - in der Unfähigkeit, diesen Sinn auf künstlerischem Wege zu zerstören. Jene, die dabei zu Führerfiguren werden, sind bei aller technischer und sogenannt „emotionaler“ Intelligenz nur die Instinktbolzen der vorherrschenden Dummheit, keinesfalls aber Angehörige einer Elite. Der ist die Sinnproduktion vorbehalten.

Ganz nahe liegt da das Verhängnis von Sinnproduktion und Sterblichkeit. Ich bin wie manche und mancher Andere hellwach mittendrin. Aber luzid und plastisch zu denken vermag ich es nicht, noch nicht.