Das Photo und die Bleibe, III.

Das Photo hält die Szene fest und bestätigt damit den Bezirk, der die Bleibe birgt. Zugleich zeigt es die Vorläufigkeit des Festgehaltenen: „Ich bin eine Momentaufnahme“, sagt das Photo und lädt uns ein, einen Augenblick da zu verweilen. „Stau dies, und die Zeit tritt aus wie ein See.“ (Robert Musil, MoE: Paradiesreise.) Da kann sich der Ort entfalten, kann seine Architektur Gestalt annehmen. Und der ganze zeitgetriebene Fluss der Dinge ergiesst sich in die Struktur, die ihre schöne Fügung zur Schau stellt.

Indem das Photo die Szene auf eine beständige Unterlage aufträgt, auf der sie fortdauern wird, gewährleistet es jederzeit die Rückkehr zu ihr. So wiederholen Photo und Szene die Offerte der Bleibe: „Immer werde ich auf Deine Rückkehr warten.“ Als Gegenstück und Ergänzung der Einladung zur Reise.

In diesem Bezirk als breitet sich der Ort in die Ebene und recken sich die Gebäude gen Himmel - handle es sich um „mein“ Dorf, „meine“ Stadt oder den Wohnort Anderer. In letzterem Fall freilich erhöht sich die Reflexivität des Bildes, erweitert sich der Begriff der Bleibe um diejenige Anderer zu dem der Bleibe überhaupt, und so wechsle ich selbst vom Status des Individuums zu jenem eines Exemplars der Gattung. Solche Exemplarität erfasst da auch die Dimensionen des Ortes und seiner Gebäude. 

Verständlich, dass welche versucht sind, um der Individualität des Individuums willen dieses selbst und dessen Gegenstände als einzigartig erscheinen zu lassen, in der Literatur, der Malerei und in der Photographie. Kaum erscheint es jedoch, das Individuum, wartet schon um die Ecke die Gattung, dieser Menschenschlag.

So ist beim Photo wie anderswo das Individuum oft im Streit mit der Gattung. Und wo das Individualisieren nichts bringt, entflieht es ins Erhabene, ins Göttliche, in jene Sphäre, die der bewundernswerte Menschenfeind Flaubert in seinen Briefen an Louise Colet schlicht „das Grosse“ nennt. Aber ist diese Sphäre dem Photo, diesem durch wohlfeile Technik zum vornherein vergesellschafteten Bild, nicht für immer verwehrt? 

Wie dem auch sei: Beim Thema „Bleibe“ sind wir im Geltungs- und Wirkungsbereich der Gesellschaft, wo das Individuum nur aus Nuancen besteht, die allerdings des gefährdeten Unterschieds wegen oft über alle Massen aufgebläht werden - um des Selbst willen, das sonst nicht wahrnehmbar wäre und ohne das es keine Rückkehr gibt: denn die ist immer Rückkehr zu sich selbst, zur geliebten Person, zur Familie, diesem ganzen gesellschaftlichen Gefüge, das dich umgibt und als Selbst mit definiert. So gehören die Portraits, die die individuellen Züge herausstreichen, ebenso wie die Hochzeits-, Familien- und Ferienphotos zum Wohnen und zur bürgerlichen Existenz.

Doch was ist da mit dem Gegenwesen zum Bürger, dem Vagabunden? Der macht doch wohl keine Photos, von nichts? Ausser heutzutage! Mit dem Smartphone, diesem Accessoire auch der Mittellosen. Da werden sie Selfies machen, die Vagabunden, zum xten wie zum ersten Male Köpfe Wilder erblicken, ungläubig und überglücklich ihre eigene Grimasse sehen im kleinen Bildschirm, der dahinter die vorüberziehende Welt spiegelt. Diese smarten Vagabunden unserer Zeit, sind nicht wir selbst sie, denn können wir es noch, das Wohnen, in diesen ins Alter gekommenen Kulissen unseres gedankenschweren Vorbeiziehens?