Nach dem Zurück zur Natur (Die Photographie und das Erscheinende, I - V) der Sturz in die Zivilisation, nach dem Thema des rein Erscheinenden dasjenige des Wohnens in der Stadt, beide Themen zugänglich gemacht über das Photo. Der Verfasser, der seit mehreren Monaten in Bern wohnt, begibt sich also vom Bremgartenwald in die Stadt und deren Quartiere.
Das im französischen Text dieses Aperçu verwendete Wort für das Wohnen, la résidence, kommt vom Lateinischen re-sidere, aus sedere, sich setzen, sitzen, und einem vorausgehenden re-, das die Wiederholung anzeigt, die das Seiende in seiner Existenz bestätigt: Existiert, was sich wiederholt und dauert, hier der Sitz des Ansässigen. Diese Dauer begründet das Fundament, das „mein“ Haus zu dem meinen, meine Wohnung zu der meinen macht im Bezirk der Stadt, ein Eigentum oder exklusives Nutzungsrecht mithin, das mit dem Status des Bürgers eng verbunden ist, dem des Mündigen, der mitreden kann.
Hier also begegnen die Gesellschaft und die Zugehörigkeit zu ihr, die zivilisierte Gemeinschaft, die Sprache, das Eigentum, begegnet von früher der alles umzäunende Schutzwall mit seinem Ausschluss des Anderen, begegnen Krieg und Frieden, begegnet Geschichte.
Mit meinem Apparat in der Hand flaniere ich durch mein Quartier, diese moderne Verfallsform des wehrhaften Städtchens, das einst der Natur und den Feinden die Stirne bot, trotzig gegen das Aussen sein Innen behauptend, diesen Ort, wo man damals noch die Eigenen an ihrer Rede erkannte, der Mundart.
Aber diese Photos von Häusern, Gebäuden, Strassenzügen, Fahrzeugen und Personen in ihrem Alltag, wozu? Morgens, mittags und abends aufgenommene Ansichten? Oft sitze ich dabei auf meinem extraleichten Walkstool, den ich fast immer bei mir habe, zusammen, gelegentlich, mit einem Stativ, das mir erlaubt, den Bildausschnitt mit noch grösserer Sorgfalt einzurichten.
Mir geht’s hier um die Verflüssigung meines Aufenthalts, um jene Abstraktion, die ich in meinem Wohnen erfahre, ich, dieses Produkt der post-industriellen Zivilisation der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das weiterlebt im fortschreitenden 21. Jahrhundert. Das Fundament meines Wohnens hat sich vom Rund der fest gefügten Steine, das die Mauern des Hauses ebenso trägt wie jene des Schutzwalls der Stadt gegen den Feind und die Natur, verlagert hin zum Rechtsstaat, der mir den gehörigen Handlungsspielraum und den Schutz vor dem Anderen, so er mir zu nahe treten will, gewährleistet. Da ist jede Erscheinungsform des Wohnens nur vorläufig, als die Kulisse meines Vorbeiziehens, die ich abbilde und deren Status als Dekor ich mit meinen Photos bestätige, auf halbem Wege zwischen der Ansässigkeit und dem Nomadismus. Ich finde mich wieder in diesen Photos, die meinen Weg spiegeln, der freilich von anderen unbemerkt bleibt: larvatus prodeo. Ich habe mir des Cartesius Leitwort angeeignet.
Das Photo ist gleich ursprünglich mit der Zivilisation, der Sprache, der Sorge und dem Wohnen, als der Rückblick des Blickenden auf seinen Bezug zum Erblickten im Verlust der wilden Unmittelbarkeit des Blicks. In ihm waltet der Schmerz des Verlusts dieser Unmittelbarkeit.
Aber im Gegensatz zu den Bildern, die dem rein Erscheinenden gewidmet sind und in denen die Wunde reisst, wird der Schmerz hier verwunden. Dies mindert die existenzielle Kraft der Photos, dafür bieten sie dem Geist einige Ablenkung: Wir gehen von der Fundamentalarchitektur des Daseins (Die Photographie und das Erscheinende, I - V) über zu dessen Innenarchitektur.