Die Photographie und das Erscheinende, I.

Gegenüber dem Erscheinenden wird mir die Photographie im vorrückenden Alter immer wichtiger. In der Jugend prägte Edmund Husserls Phänomenologie meine Wahrnehmung, zentral waren die Cartesianischen Meditationen, hinzu kamen Lektüren von Sartre, Heidegger, Merleau-Ponty, Derrida, Blanchot…

Aus dieser Zeit sind mir noch zwei Handlungen gut in Erinnerung. Von Seiten Husserls die phänomenologische Reduktion, in deren Vollzug die Seinsgeltung der geradehin wahrgenommenen, vermeintlichen Wirklichkeit „eingeklammert“ und damit ausser Kraft gesetzt wird, von Seiten Derridas die Einkehr ins Geschehen der „différ-a-nce“, des in allem Unterscheiden und Unterschied waltenden Risses, zunächst in der Anzweiflung der unmittelbaren, vermeintlich herausgehobenen Selbstpräsenz des Subjekts - was uns an Marx und Freud, ja auch an Hegel erinnert. Die Selbstgewissheit des Subjekts wird in dessen Einsicht in die unabschliessbare Verschiedenheit von sich selbst preisgegeben: Es wird sich nur geschenkt im Gegenübertreten, in der Trennung von sich selbst.

Beide Handlungen sind dem alltäglichen Weltbezug entgegengesetzt. Deshalb der Ausdruck „Handlungen“. Um diese Gedanken zu fassen, muss eine, einer nämlich an sich selbst handeln, sich verändern in der Veränderung ihrer, seiner Erfahrung. Darum das Pathos in Husserls Meditationen. 

In der so ans Tageslicht gebrachten Kommunikation steht das Bewusstsein auf der einen, das Erscheinende auf der anderen Seite - nicht nur, denn auch das Bewusstsein erscheint sich selbst als zuschauendes seiner selbst in seiner Begegnung mit dem Erscheinenden - sich selbst dabei erscheinend als ein anderes seiner selbst. Dieser Kommunikation ist nun jeder Seinsboden entzogen, sie findet über einem Abgrund statt, der den Raum freigibt für jedwelche Sinnproduktion, die dann, in einem hochgeglückten Akt der Künstlerin, des Künstlers, mit unerhörter Wucht in das photographische Bild hineinschiessen kann.

Die heutzutage gängige Photographie ist davon gewiss Welten entfernt. In ihr scheint alles Fülle, saturierte Präsenz, üppige Durchsage, hin- und her gereicht im problem- und fraglosen Austausch. Das im Vornherein vergesellschaftete Bild kommt daher als gängige Münze, eine oft ganz schöne, ästhetisch aufgemotzte Banalität.

Freilich entgeht keine, keiner auch in der flachsten Kommunikation den Entfremdungen, die Kommunikation in ihrem irreduktiblen, also heillosen Vermittlungszusammenhang stets mit sich bringt. Daher überall dieser Rausch: Identitätsrausch, Liebesrausch, Drogenrausch… Enivrez-vous!

Das ist doch Philosophie! wird man ausrufen. Aber ja. In dieser Endzeit der Philosophie ist es gut, daran zu erinnern, dass deren Ende so lange dauern wird, wie es die Menschheit gibt. Denn so lange wird sich die Frage stellen: Gibt es ein Apriori unseres Daseins, ja oder nein?

Der Photograph, der ich bin, fragt auch nach diesem Apriori. Dabei habe ich zunächst das Geschenk der Szene im Blick, das jeder Inszenierung vorausgeht. Ist die Szene nicht gleichursprünglich mit dem Zur-Welt-Kommen? Ist sie nicht ein Apriori der Weltwahrnehmung, ja des Denkens überhaupt? Gibt es ursprüngliche, „erste“ Szenen?

Vielleicht. Ich denke an Szenen des „Aufenthalts“, des Aufenthalts des Daseins „hienieden“. Ich hege die Vermutung und erlaube mir im Zuge dieses Gedankengangs die Hypothese, dass Szenen des „Aufenthalts“ eine existenzielle Bedeutung zukommt.

Wie da einfachste Phototechnik hineinspielt, können Sie am Beispiel der Inszenierung eines Gartens sehen, in dem ich mich des Öfteren aufhalte. Links eine Aufnahme mit einer noch als blickgetreu beurteilten Brennweite (35 mm KB), rechts eine Aufnahme mit starkem Weitwinkel (17 mm KB). 

Während ich beim „objektiv wahren“ Bild links kühl bleibe, spricht mich das Bild rechts als „existenziell wahr“ an (anklicken zum Vergrössern). In seiner Dynamik entspricht es meiner gelebten Wahrnehmung. Dabei gehe ich davon aus, dass solches Erleben nicht auf mich beschränkt, sondern exemplarisch ist und somit die Photographie, wo sie glückt (was ich von diesen Beispielbildern nicht behaupte), auf exemplarische, d.h. menschlich relevante Weise in die Beziehungsdynamik zwischen dem Betrachtenden und dem Betrachteten eingreift. Da wollen wir in der Folge näher hinschauen. 

Deutsche Fassung des Anfang April erschienenen Artikels La photo et le phénomène, I

Avertissement aux spécialistes en philosophie: On aura compris que j'adhère à la thèse qu'il ne faut pas doubler le moi psychique et psycho-physique d'un je transcendantal, voir là-dessus Jean-Paul SartreLa Transcendance de l'Ego, Vrin, 1981, p. 19 par exemple, j'abrège:

1° le champ transcendantal est impersonnel ou prépersonnel,

2° le Je n'apparaît qu'au niveau de l'humanité et n'est qu'une face du Moi, la face active,

3° le Je Pense peut accompagner nos représentations parce qu'il paraît sur un fond d'unité qu'il n'a pas contribué à créer et que c'est cette unité préalable qui le rend possible au contraire,

4° qu'il est loisible de se demander si la personnalité (ou la personnalité abstraite d'un Je) est un accompagnement nécessaire d'une conscience et si l'on ne peut concevoir des consciences absolument impersonnelles. (Auseinandersetzung mit dem späteren Husserl.)

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