Die Stadt.

Als es mich 1949 als Vierjährigen nach Zürich verschlug, weideten im freien Feld nebenan noch die Kühe, und ich erinnere mich, dort beim Rübenputzen geholfen zu haben. Der „Fallende Brunnenhof“, so hiess das Bauerngut an der Kreuzung Hofwiesenstrasse -Wehntalerstrasse, wurde dann in den 50er Jahren zu einem Restaurant, im nahen, recht ansehnlichen Feld entstanden zwei- und dreigeschossige Wohnblöcke, dazu kam entlang der Wehntaler- und Hofwiesenstrasse eine Überbauung mit Wohnungen, Geschäften, Büros und Praxen.

Das Tram, das waren damals noch jene bimmelnd durch die Strassen ruckelnden Gehäuse, deren offenen Ein- und Ausgänge nicht mit Türen, sondern mit Gestängen gesichert waren, weit entfernt von den sanft rollenden Bänderschlangen, die heutzutage als langgezogene Innenräume durch die Stadt gleiten. Unterwegs im Tram, aber dann auch auf der Strasse und schliesslich im Tea Room mit Mutter und Schwester oder im Freibad gehörte schon das Kind ganz selbstverständlich zur Stadtbevölkerung. Ob Erwachsener oder Kind, ob reich oder arm, ob schön oder hässlich, aufs Tram warteten alle gleich lang, und vor allem: Keiner bedrängte den andern mit persönlicher Neugierde, beäugt wurde höchstens die Erscheinung, die Person interessierte nicht weiter. In der Stadt, mit dieser Gewissheit wuchs ich auf, ist jede und jeder eine Abwandlung des einen Wesens: der Städterin, des Städters.

So prägte im Kind die alle Verschiedenheiten in sich aufnehmende und neutralisierende Stadt dessen Vorstellungen vom Zusammenleben in der Gesellschaft.

Die Orte in der Ostschweiz, in die ich in die Ferien geschickt wurde, schienen mir da kaum grösser als ein Stadtquartier, bewohnt von knorrigen, hölzernen, behäbigen Zeitgenossen, naturbelassen sozusagen mit ihren Süchten, Lastern und Nöten, mit ihren kleinen Freuden und engstirnigen Meinungen, die sie immer wieder und zum Teil ganz wild gegen einander aufbrachten. Es war halb Stadt, halb Land, was das Stadtkind da antraf, das Ländliche noch halb lebendig von früher und doch schon am Zerbrechen, es ging vorwärts in eine noch unbekannte Zukunft, und gerade deshalb blieb vieles tief im Innern verstockt - ganz anders als im fliessenden Leben der Stadt, in dem die Jungenkinderseele leichter Dinge mitfloss.

So individuell dieses Seelenleben auch daher kam, es wurde durchwirkt vom Stadtleben, seinem Grundstoff, auf dem es dann seine eigenen, etwas zufälligen und willkürlichen Muster bildete. 

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